Im Anflug auf Australien. Es ist noch ganz früh am Morgen. Am Horizont lässt sich aber schon das allererste Tageslicht ausmachen. Ich sitze am Fenster, was ich die letzte Nacht natürlich ausgiebig genutzt habe. Immer wenn ich wach wurde, ging der Blick raus in die Dunkelheit, die Nase minutenlang ans Fenster gepresst und mit beiden Händen das abgedimmte Licht im Flugzeug von der Seite abschirmend, um so viel wie möglich zu sehen. Und am Himmel entdecken lässt sich so einiges in der Nacht: Sterne, die zum Greifen nahe scheinen, vom Mondlicht angestrahlte, weiß leuchtende Wolken oder kilometerlange Gewitterfronten zum Beispiel. Sehr beeindruckend, das mal von oben zu sehen. Und da ich so oft ja nun auch nicht fliege, versuche ich in den letzten Minuten des Fluges nochmal so viel wie möglich von der näheren Umgebung wahrzunehmen. Im Landeanflug kann ich unter den Wolken irgendwann ganz schwach die ersten Konturen des Meeres ausmachen, ich sehe große Schiffe und einige kleine Boote, die weiß schäumende Wellenberge hinter sich herziehen. Irgendwann taucht in der Ferne dann das Lichtermeer von Brisbane auf. Und fast genau zu den allerersten Sonnenstrahlen setzt das Flugzeug mit einem sanften Ruck auf dem Rollfeld auf. Ziemlich perfektes Timing.
Australien!! Ich grinse von einem Ohr zum anderen und kann gar nicht mehr aufhören. Ähnlich wie China war Australien für mich immer ein ganz großes Etappenziel auf meiner Reise gewesen. Lange Zeit unendlich weit entfernt und ganz unwirklich, so als würde ich hier nie ankommen können. Und dann ist es auf einmal aber soweit und man findet sich auf einem Rollfeld in Brisbane wieder. Ich bin total aufgewühlt und kanns gar nicht fassen, dass das hinter dem kleinen Flugzeugfenster wirklich Australien ist. Ich freu mich, wie ein kleines Kind zu Weihnachten. Ach Gott, was soll das erst in Akaroa werden? Beim Aussteigen lass ich mir alle Zeit der Welt und schlendere gemütlich vom Flugzeug in das Flughafengebäude. Natürlich nicht ohne mich immer wieder in alle Richtungen umzudrehen. Ich weiß gar nicht warum, aber ich fühle mich gleich richtig wohl.
Mein erster Gang – ich trau es mich ja fast gar nicht zu sagen – führt mich schnurstracks aufs Klo, wo ich unbedingt Wasser aus dem Wasserhahn trinken will. Man kann es sich vielleicht nur schwer vorstellen, aber nach zehn Monaten in Asien ist das zumindest jetzt erstmal etwas total Besonderes für mich. Über zehn Monate musste ich mein Wasser ja kaufen und konnte das Wasser aus dem Hahn allenfalls zum Zähneputzen oder für den Abwasch verwenden. Das ist irgendwann einfach so normal, dass man nicht mal mehr den kleinsten Gedanken daran verschwendet. Und jetzt – jetzt bin ich in Australien und kann auf einmal wieder einfach das Wasser aus der Wand trinken. Ich bin vollkommen fasziniert. Wie gesagt, sicher kann man sich das gar nicht so richtig vorstellen, wenn man in Mitteleuropa lebt, aber es ist eben doch nicht so selbstverständlich einfach Wasser aus dem Wasserhahn zu trinken. Klar, weiß man das alles irgendwie, aber dann selber mal so direkt zu erleben, wie toll das doch ist, einfach den Hahn aufzumachen und zu trinken, das ist schon ziemlich beeindruckend.
Frisch gestärkt gehts vom Klo in die kleine Flughafenhalle. Hier sammle ich meinen Fahrradkarton und die ganzen Taschen ein und gehe zur Pass- und Gepäckkontrolle. Die Grenzbeamten sind absolut tiefenentspannt, witzeln über das ganze Gepäck auf dem Wagen und erkundigen sich, wo denn die Reise hingehen soll. Bis Melbourne mit dem Fahrrad?! Ob ich denn wisse, wo Melbourne liegt? Ich kann doch auch einfach das nächste Flugzeug nehmen. Geht doch viel schneller. Diese Deutschen….
Nachdem die Formalitäten geklärt sind und ein weiterer Stempel in meinen Pass gedrückt wurde, schiebe ich den Karton und die in Folie verpackten Taschen an eine Straße vor das Flughafengebäude. Wie ruhig und sauber hier alles ist. Und so kühl. Schon beim Verlassen der Halle spüre ich die angenehme Morgenfrische und atme gleich ein paar Mal tief durch. 18°C – ein Traum nach über vier Monaten in den Tropen. Wasser aus dem Hahn, die Ruhe und das frische, kühle Wetter, das reicht erstmal für ein paar kleine Kulturschocks. Und sicher kommt da noch was – ich hab den Flughafen ja gerade erst verlassen.
Gerade jetzt merke ich, dass ich doch ganz schön lange in Asien unterwegs war und mich dabei unmerklich an so viele Alltäglichkeiten in den einzelnen Ländern dieses Riesenkontinents gewöhnt habe. An Positives, wie Negatives. Und so sind es bei meiner Ankunft in Australien eben das Wasser aus dem Hahn, die Ruhe und Sauberkeit auf der Straße und die Temperaturunterschiede, die mir auffallen. Es ist schon verrückt: das, was eigentlich so vertraut sein müsste, fühlt sich total ungewohnt und fremd an. Und doch ist es so, dass ich mich auf einmal fast wieder wie zu Hause fühle, obwohl ich ja jetzt quasi auf der anderen Seite der Erde bin. Ziemlich verwirrend gerade.
Draußen vor dem Flughafengebäude frage ich nach einem Platz, wo ich mein Rad zusammenbauen kann. Man zeigt mir ein ruhiges Eckchen, wo ich schalten und walten kann und wo es zwischenzeitlich auch ziemlich wüst aussieht; aber nach einer knappen Stunde ist alles zusammengebaut, verpackt, aufgeladen und festgezurrt und es kann losgehen. Erstmal ohne großes Ziel. Einfach Richtung Stadt. Ich genieß es wieder richtig auf dem Rad zu sitzen. Fühlt sich ganz neu an mein Radl, nachdem alles mal wieder gefettet, geölt und neu eingestellt ist. Macht richtig Spaß zu fahren. Besonders nach der doch recht langen, krankheitsbedingten Pause.
Auf einem perfekt ausgebauten Radwegenetz geht es Richtung Brisbane. Unterwegs seh ich viele Radfahrer, die auf Rennrädern, Mountainbikes oder Liegerädern unterwegs sind. In Asien eine ziemliche Seltenheit. Zumindest die Fahrradnutzung als Sportgerät. Einige Radfahrer halten an und fragen, ob ich irgendwie Hilfe brauche oder aber wir kommen einfach so ins Gespräch. Total spannend, die ersten Meter in Australien.
Am frühen Nachmittag komme ich nach vielen Pausen und Extrarunden in und um Brisbane in einem Hostel etwas außerhalb der Stadt an. Hier gibts jetzt erstmal wieder einen Tag Pause. Oder auch zwei. Die nächsten Tage wollen geplant werden und außerdem brauch ich auf jeden Fall noch einen Tag, um so richtig in Australien anzukommen. So ein Flug von 6000 Kilometern ist dann doch nochmal etwas anderes als ein einfacher Grenzübertritt. Am Samstag oder Sonntag wirds dann von hier aus aber weiter gehen. Richtung Süden. So weit möglich immer in Küstennähe. Die Strände sollen hier ja zu den besten der Welt gehören. Hat mir heute ein Australier voller Stolz erzählt. Na da bin ich aber mal gespannt….