„Welcome to Iran.“ Seit ich im Iran bin, höre ich diesen Satz immer wieder. Eigentlich jeden Tag. Das erste Mal gleich an der Grenze, wo ich von einer Gruppe Iranern begrüßt werde, die mit mir auf die Einreise warten. Was die überschwängliche Gastfreundschaft der Menschen hier betrifft, wurde ich ja sozusagen vorgewarnt. Das bleibt gar nicht aus, denn je näher man diesem Land kommt, desto häufiger trifft man Menschen, die bereits hier waren und die in den höchsten Tönen von Land und Leuten schwärmen. Aber auch schon während meiner Reisevorbereitungen habe ich ständig von der großen Gastfreundlichkeit im Iran gelesen. Und sicherlich war das auch mit ein Grund dafür, dass ich hier unbedingt her wollte. Ich wollte das Land und die Menschen gern selbst mal erleben. Gerade auch weil der Iran im Westen ja nicht unbedingt das positivste Image hat und es auch nicht nur zustimmende Rückmeldungen gab, als ich sagte, dass der Iran auf meiner Reiseroute liegt. Daher war ich im Vorfeld auch schon ganz gespannt auf die Begegnungen hier. Und die sind ganz oft einfach absolut überwältigend. Wirklich jeden Tag treffe ich hier Menschen, die so überaus herzlich und hilfsbereit und bemüht sind, dass ich manchmal nur noch mit offenem Mund dastehen und staunen kann. In dieser Menge hab ich das bisher in keinem Land auf meiner Reise erlebt.
Oftmals sind es Kleinigkeiten, nur flüchtige Begegnungen, die mich ganz sprachlos machen: ein Motorradfahrer, der neben mir auf der Landstraße hält und aus seiner Tasche einen Apfel holt, mir diesen in die Hand drückt und sagt, dass der mir ein paar Meter weiter hinten aus meiner Tasche gefallen ist. Oder ein Pärchen auf dem Motorrad, dass neben mir an der roten Ampel steht, beim Weiterfahren kurz lächelt und winkt, mich dann nach etwa fünfzehn Minuten wieder überholt, anhält und eine Flasche mit eiskaltem Mineralwasser zu mir herüberreicht, wieder lächelt und winkt und dann weiter fährt. Nach solchen Aktionen muss dann oft erstmal innehalten und mich sammeln und manchmal steh ich dann noch eine Weile da und frage mich, ob das gerade wirklich passiert ist. Immer wieder bin ich aufs Neue von dieser Aufmerksamkeit und Herzlichkeit fremden Menschen gegenüber beeindruckt und besonders davon, dass manche das eben auch einfach direkt in die Tat umsetzen und wegen eines Apfels auf der Straße anhalten oder irgendwem auf der Straße eine Flasche Wasser kaufen.
Diese Hilfsbereitschaft erlebe ich hier häufig. Und auf ganz unterschiedlicher Art und Weise. In der Stadt, auf Campingplätzen, in Unterkünften geben mir Passanten oder Gäste ihre Telefonnummern für den Fall, dass ich irgendwelche Probleme oder Fragen habe, am Zelt werde ich abends angerufen und gefragt, ob alles in Ordnung ist oder ich noch irgendetwas brauche. Oder ich bekomme von wildfremden Leuten, die mich beim Einchecken sehen, Essen ans Zelt oder auch mal ins Hotel gebracht. Diese große Herzlichkeit zieht sich wie ein roter Faden durch meinen bisherigen Aufenthalt im Iran und macht es mir extrem leicht, mich in diesem Land sehr wohl zu fühlen.
Zugleich sind manche Dinge aber natürlich ganz anders als bei uns und zum Teil auch ziemlich gewöhnungsbedürftig. Zum Beispiel das oftmals deutlich geringere Distanzverhalten in Gesprächen. Schnell geht es da dann um recht persönliche Dinge, bspw. um die Höhe des Gehalts, den Familienstand oder ob man Kinder hat. Und wenn man keine hat oder nicht verheiratet ist, will man gern den Grund dafür wissen. Wobei ich mich damit aber noch ganz gut arrangieren kann. Was ich viel anstrengender finde, ist eine spürbare Distanzlosigkeit fremdem Eigentum gegenüber. Zumindest war das jetzt öfter mein Eindruck. Eh man sich versieht, wird dann ungefragt schnell mal alles am Fahrrad angefasst und ausprobiert, geklingelt, an der Schaltung herumgedrückt, der Reifendruck geprüft, das eigene Kind für ein Erinnerungsfoto aufs Fahrrad gesetzt oder ein tiefer Blick in die Lenkertasche geworfen. Auch wenn diese verschlossen ist. Es ist nicht immer so, dass mich das stört, aber manchmal eben schon.
Was ich momentan allerdings wirklich anstrengend finde ist, dass ich durch das 30-Tage-Visum ziemlichen Zeitdruck habe. Zum einen ist der Iran ja ein riesiges Land. Daher hat es auch knapp 10 Tage gedauert, bis ich überhaupt erstmal in Teheran angekommen bin. Zum anderen muss ich jetzt in Teheran sämtliche Visa für meine Weiterreise besorgen: die Visa für Usbekistan, Turkmenistan und China. Und das kann dauern, wie ich ja schon bei meinem iranischen Visum gesehen habe. Sicher, ich hätte von der Grenze auch mit dem Bus hierher fahren können. Kurzzeitig hatte ich das auch überlegt, aber weil es ja eigentlich mein Ziel war bis China jeden Meter mit dem Rad zu fahren, habe ich bisher auf andere Verkehrsmittel verzichtet. Aber ob das weiterhin so machbar ist, wird sich in den nächsten Tagen zeigen. Ich bin gespannt….
Um möglichst schnell in Teheran anzukommen, bin ich ab Jolfa daher praktisch ausschließlich auf einer Transitstraße gefahren. Landschaftlich war das überraschenderweise ziemlich abwechslungsreich und schön gewesen. Insbesondere der mittlere Teil. Hauptsächlich ging es durch karge, wüstenartige Bergregionen. Und der Verkehr war, abgesehen von den Ballungszentren auch erträglich. Aber auf einer Strecke von knapp 750 Kilometern gibt es natürlich auch Abschnitte, bei denen man froh ist, wenn man diese hinter sich gebracht hat. Aber da muss man dann durch. Es kann halt nicht überall schön sein. Und trotzdem fand ich diese Strecke absolut lohnenswert, denn unterwegs habe ich jeden Tag Menschen getroffen, die mir die erste Woche im Iran zu einer der schönsten meiner bisherigen Reise gemacht haben.
Ganz besonders bleibt mir die Begegnung mit Abas in Erinnerung. Abas und ich haben uns ganz zufällig auf der Straße getroffen, als er von der Feldarbeit auf dem Weg nach Hause war. Nach der Frage, woher ich komm und wohin die Reise geht, hat mich Abas dann auch gleich zu sich nach Hause zum Essen eingeladen. Erst gab ich Abas noch zu verstehen, dass ich heute noch ziemlich weit fahren muss. Aber er ließ nicht locker. Schließlich werde ich doch sicher Hunger haben. Und außerdem würde es ja auch nicht lange dauern. Kurz etwas essen, dann kann ich auch schon weiter fahren.
Also gut. Wir fahren von der Straße runter in das Dorf in dem Abas wohnt. Es ist ein kleines Dorf mit nur wenigen Häusern. Ich habe Mühe Abas auf seinem Motorrad über die unebenen Straßen zu folgen. Aber schon nach wenigen Hundert Metern stehen wir dann aber am Tor zu seinem Grundstück. Er zeigt mir erstmal die kleine Garage und die neue Toilette im Garten, auf die er sichtlich stolz ist. Und dann soll ich schon mal vorgehen, ins Haus. Er zieht sich noch schnell um. Ich bin ganz gespannt, wie es wohl in einem iranischen Haus aussieht. An der Tür ziehe ich mir die Schuhe aus und betrete dann gleich das Wohnzimmer. Ein schlichtes Zimmer ohne Möbel. Nur der Fernseher steht auf einem kleinen Schränkchen. Der Boden ist komplett mit Teppichen ausgelegt, an der Wand lehnen Kissen. Obwohl der Raum so leer ist, find ich ihn ganz gemütlich. Abas und ich setzen uns auf den Boden. Seine Frau bringt Tee und bereitet dann das Essen vor. Ich zeige Abas Fotos aus Freiburg und meinem Zuhause, woraufhin er auch ein Fotoalbum holt und mir Bilder von sich und seinen Kindern zeigt.
Nach dem Tee wird eine Tischdecke auf dem Boden ausgebreitet und dann kommt auch schon das Essen. Es gibt Reis und eine scharfe Soße mit Gemüse und Fleisch. Dazu Weintrauben und Brot. Und eine Cola. Sogar mit Eiswürfeln. Es schmeckt ganz fantastisch und ich ess ganz langsam, um jeden Bissen genießen zu können. Nach dem Essen gibt es nochmal Tee. Und dann muss ich mich bald wieder auf den Weg machen. Es ist ja schon halb drei und im Prinzip hab ich noch meine gesamte Tagesetappe vor mir. Abas bringt mich noch an die Straße, es gibt ein Küsschen rechts und links und dann bin ich auch schon wieder unterwegs.
Beeindruckend fand ich es bei Abas und seiner Frau zu Hause. Wie anders es hier doch im Vergleich zu Armenien ist. Das hat noch ziemlich europäisch auf mich gewirkt, wie Serbien oder Rumänien. Aber der Iran, ein Sprung in eine ganz andere Welt ist das.
Am Dienstag schließlich bin ich in Teheran angekommen. Hier hab ich mich in einem kleinen Hotel im Zentrum der Stadt einquartiert. Es hat fast Hostelatmosphäre, denn hier gibt es viele Rucksackreisende aus zumeist mitteleuropäischen Ländern. Ich hab hier sogar jemanden aus Freiburg getroffen. Unglaublich. Wie klein die Welt manchmal ist. In Teheran werde ich die nächsten Tage mit Antragsformularen und Behördengängen verbringen. Ich hoffe mal, dass das nicht länger als eine Woche dauert. Und in einer Woche werde ich dann auch hoffentlich wissen, wie es von hier weitergeht. Es gibt zwei Optionen: das Fahrrad oder das Flugzeug. Mal sehen, was kommt…